Der leichteste Feststoff der Welt wird bezahlbar
Halb so dick wie Styropor, ökologisch, unbrennbar – gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut stellt die PROCERAM Gruppe ein neues Verfahren vor, was den Super-Dämmstoff bezahlbar macht.
Die kleinen weißen Kugeln erinnern an Zuckerperlen aus dem Süsswarenladen, drückt man sie mit den Fingern zusammen, zerfallen sie zu kaum mehr sichtbaren, weichen Staub. Schwer zu glauben, dass die “Zuckerperlen” einen weltweiten Durchbruch im Bereich der Wärmedämmung bedeuten – entwickelt in Oberhausen. Die Perlen sind eigentlich “Aerogele”, thermische Superisolatoren aus 99,8 Prozent Luft und laut dem Guinness-Buch der Rekorde der “leichteste Feststoff der Welt”. Schon seit Jahren werden Aerogele zur Dämmung genutzt, da sie eine doppelt so hohe Dämmwirkung erreichen wie herkömmliche Dämmstoffe. Bisher allerdings überwiegend in hochpreisigen Bereichen wie der Raumfahrt. Das Oberhausener Forschungsinstitut Umsicht hat ein weltweit einzigartiges Verfahren entwickelt, mit dem die Produktion von aerogelem Dämmputz erstmals kostengünstig möglich ist – und somit für den internationalen Markt als Alternative zur klassischen Styropor-Isolation relevant wird.
Treibhausgasausstoß wird reduziert
Zurzeit sind Gebäude für 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union verantwortlich.
Drei von vier Gebäuden gelten als energie-ineffizient, weshalb zeitgemäße Dämmungen eine zentrale Maßnahme zur langfristigen Energieeinsparung darstellen. Im Oberhausener Umland sind bereits jetzt einige Gebäude mit Aerogeldämmung ausgestattet. Dazu zählen einzelne Gebäude der Margarethenhöhe in Essen und der Plange-Mühle im Düsseldorfer Hafen.
Forschungsauftrag bereits 2015 erhalten
Den Forschungsauftrag erhielt das Fraunhofer Institut bereits 2015 von dem auf mineralischen Dämmputz spezialisierten Unternehmen “Cerabran”. Die Forscher sollten ein bezahlbares Verfahren entwickeln, Aerogele herzustellen. Damals hatte selbst Dr. Ing. Manfred Renner, Bereichsleiter Produkte bei Fraunhofer, noch nie etwas von dem Produkt gehört. “Ich habe mich dann sehr schnell eingelesen und mit einer fast schon kindlichen Naivität ein sehr einfaches Prozessverfahren aufgezeichnet, bei dem die gesamte Produktion in einem Behälter stattfindet. Uns ist ein energieeffizientes Verfahren gelungen.”
Gewonnen werden die Aerogele bei Fraunhofer aus Sand, weshalb das Endprodukt vollständig mineralisch und recyclebar ist. Der ursprüngliche Preis von 25 Euro pro Kilogramm Aerogel liegt dank des neuen exklusiven Verfahrens unter 10 Euro pro Kilogramm.
Die geringeren Produktionskosten eröffnen der Baubrache die Möglichkeit, energieeffizienter zu dämmen und so nachhaltig den Energieverbrauch durch Gebäude zu senken.
Doch der ökologische Dämmstoff bietet noch viele weitere Vorteile, wie Renner ausführt: “Das Material ist ungiftig und nicht brennbar. Zudem muss die Dämmung an den Gebäuden nur noch halb so dick sein – statt zehn bis zwölf Zentimetern Styropordämmung, sind dann nur noch fünf Zentimeter aerogeler Dämmputz zur Isolation nötig. Die Anwendungsbereiche gehen aber weit über die Gebäudedämmung hinaus – auch bei Kühlschränken, in der Autobranche oder beim Flugzeug- oder Schiffbau können Aerogele eingesetzt werden.”
In Oberhausen können mit der prototypischen Produktionsanlage bisher nur geringe Mengen Aerogele hergestellt werden, schon bald sollen weltweit Anlagen zur industriellen Produktion hinzukommen. Eine erste große Anlage in Mönchengladbach ist bereits in Planung und soll 2024 mit der kostengünstigen Herstellung der Aerogele starten.
“Mit dem bisher bekannten, teuren Herstellungsverfahren werden derzeit rund 1000 Kilogramm Aerogele pro Jahr in Deutschland produziert, diese Zahl kann durch die geplante Anlage auf bis zu 500 Tonnen verfünffacht werden”, erzählt Renner. Dies würde reichen, um 5000 bis 7000 Mehrfamilienhäuser mit dem “Super-Putz” auszustatten.
Um das in Oberhausen entwickelte Verfahren über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt zu machen, wurde es in der ersten Maiwoche zunächst bei einem Treffen des Rotary Clubs Oberhausen öffentlich gemacht – eine “Weltpremiere”. Die gesamte Fachwelt wird allerdings erst in der nächsten Woche live die Weltneuheit kennenlernen: am 17. Mai reiste Renner gemeinsam mit der Geschäftsführung der PROCERAM Gruppe nach Montreal, Kanada um der internationalen Fachgemeinschaft der Wissenschaftler das neue Verfahren zu präsentieren.
Verfasst: Andrea Zaschka | Foto: Stefan Arend, FUNKE Foto Services